Im Sommer 2018 führte mich mein Weg nach Norwegen - doch nicht irgendwohin, sondern ins exotische Svalbard. Hier im Norden, auf 78°Nord, zwischen dem Nordkap und dem Nordpol gelegen, habe ich den einjährigen Kurs zum "Arctic Nature Guide" besucht, habe in einem Zelt überwintert und kann Longyearbyen, den Hauptort Svalbards, nun mein zu Hause nennen.
Am 9.12.2018, Norwegen - Svalbard
Die Dunkelheit hat uns nun vollends eingeholt, und allein der Blick auf die Uhr verrät einem, ob es nun mitten am Tag oder mitten in der Nacht ist. Es ist immer dunkel - man steht auf, wenn es dunkel ist, man geht in den Ort in völliger Dunkelheit, man geht ins Bett, wenn es dunkel ist. Würde es keine Uhren geben, dann würde man komplett jegliches Gefühl für die Uhrzeit verlieren.
Manch einer mag wohl denken, dass die ewige Dunkelheit doch ziemlich depremierend sein muss, und das mag auch so sein, wenn man nur für ein paar Tage auf Svalbard verweilt. Wenn man aber den Wechsel von Mitternachtssonne zu kompletter Dunkelheit Tag für Tag miterlebt hat, dann wäre es jetzt einfach nicht passend, im Dezember die Sonne zu sehen. Oder einen Sonnenaufgang. Oder auch nur den Schimmer von Helligkeit am Horizont.
Die Dunkelheit lässt alles gefühlt viel langsamer ablaufen, man scheint langsamer zu gehen, langsamer zu essen, langsamer zu reden. In der Dunkelheit nimmt man sich die Zeit, die von den Dingen verlangt wird, wenn man ihnen gerecht werden will. Jedes Essen schmeckt wohl viel besser, weil es in Ruhe und mit Zeit gekocht wurde. Jeder Spaziergang in die Stadt ist so viel intensiver, weil in der Dunkelheit die Gedanken das einzige sind, was einen begleitet, während der Schnee unter den Schuhen knirscht und der Mond die Berghänge anstrahlt - und wenn wir Vollmond haben, ist es manchmal sogar so hell, dass wir unsere Sonnenbrillen am liebsten hervorkramen... Solch eine "Helligkeit" ist man einfach nicht mehr gewohnt.
Natürlich freuen wir uns alle auf die Rückkehr der Sonne, und im Februar wird dieses Ereignis hier groß gefeiert, doch bis dahin genießen wir die Langsamkeit der Dunkelheit. Ich müsste lügen, wenn ich die Sonne kein bisschen vermissen würde, doch erst wenn man etwas nicht mehr hat, weiß man es wirklich zu schätzen. Und so werden wir die Sonne im Februar erst recht zu würdigen wissen.
Doch auch jetzt in der Dunkelheit gehen wir hinaus in die Berge, genießen den Schnee und freuen uns darauf, die nächste Eishöhle zu erkunden. Denn von der Dunkelheit lässt sich hier niemand aufhalten.
So nimmt nun auch mein nächstes Projekt Gestalt an: Ab Januar werde ich hier in der Arktis in einem Zelt leben. Ob bei -40°C oder (viel zu warmen) +5°C, ob bei Windstille oder Sturm, ob in der Dunkelheit oder der Mitternachtssonne nächsten Frühling. Ein Zelt wird mein neues Zuhause sein.
So bin ich mitten in den Vorbereitungen, habe fast alles zusammen, was ich für dieses arktische Abenteuer brauchen werde, und konnte es natürlich nicht lassen, das Zelt jetzt schonmal probeweise aufzustellen und den ein und anderen Nachmittag (oder Nacht?) mit Schnee schaufeln zu verbringen.
Wieso ich in ein Zelt ziehen möchte, fragen mich vor allem immer wieder Leute, die nur kurze Zeit auf Svalbard verweilen. "Wieso nicht?", ist meine typische Antwort. Man muss wohl einige Zeit in der Arktis verbracht haben, um die Schönheit und die Erlebnisse und Erfahrungen wirklich verstehen zu können, die solch ein Leben mit sich bringt.
Denn was gibt es schöneres, als unter dem Sternenhimmel und Polarlichtern zu schlafen, die Berghänge um einen herum, wenn der Wind sich im Ofenrohr fängt und leise säuselt, wenn der Schnee um das Zelt herum getrieben wird. Pure Freiheit, die im totalen Kontrast zum Alltag in der Stadt steht, wo die steilen Hauswände die Gedanken in jeglicher Richtung einschränken. Für ein halbes Jahr werde ich also in meinem Zelt leben, ganz nach dem Motto "My home is where my tent ist".